Bleifreie Munition für die Büchse – die Erfahrungen der Anwender reichen von völlig unbrauchbar bis zu absolut problemlos. Was auf den ersten Blick verwirrt, lässt sich beim professionellen Vergleich der am Markt befindlichen Fabrikpatronen durchaus erklären, wie die Experten Jens Tigges, André Schröder und Jens Bork wissen.
Die Agentur Outdoor Marketing International hat seit 2012 mit Unterstützung der Firmen Blackhawk, Hornady sowie Savage Workshops für interessierte Jäger durchgeführt, in denen Jagdmunition mit bleihaltigen und bleifreien Geschossen objektiv miteinander verglichen wurden.
Dabei wurden mittlerweile nahezu alle derzeit am Markt befindlichen 33 bleifreie Munitionslinien der 22 Hersteller in den populärsten Kalibern getestet. Die Bandbreite der Leistung überraschte sogar Profis und erklärt durchaus, warum Jäger je nach verwendeter Munition, Kaliber und Jagdart extrem unterschiedliche Erfahrungen auf der Jagd machen.

Zu den Vergleichstests von Büchsenmunition gehört auch das Messen der Geschossgeschwindigkeit kurz vor der Laufmündung.
Der Vorteil von Seifenbeschuss
Die objektiven Vergleichstests wurden dabei durch den Beschuss von ballistischer Seife durchgeführt. Ein Verfahren, das forensisch anerkannt ist und das schon in der Gremse-Rieger-Studie wichtige Erkenntnisse gebracht hat. Es wird voraussichtlich auch in der Umsetzung der noch zu verabschiedenden technischen Richtlinie zur Leistungseinstufung von Büchsenmunition zum Einsatz kommen. Dieses Zielmedium simuliert Gewebe und erlaubt damit einen Vergleich verschiedener Laborierungen unter gleichen, relativ realistischen Bedingungen. Die nach einem speziellen Rezept, zum Beispiel von www.enzian-seifen.de, hergestellte Seife hat darüber hinaus den Vorteil, dass sie weniger temperaturanfällig ist als die aus Polizei- und Militärtests bekannte ballistische Gelatine und dass die für die Leistungsbeurteilung der Munition entscheidende temporäre Kaverne vollständig erhalten bleibt.
Splitterverteilung – Bleifreie Munition auf dem Prüfstand

Nach dem Aufschneiden des Seifenblocks können die Workshop-Teilnehmer vier der fünf Leistungsmerkmale des verwendeten Geschosses vermessen
Auch eine etwaige Splitterverteilung kann minutiös ausgewertet werden. Die Kaliber der Vergleichstests wurden dabei ebenso von den Workshop-Teilnehmern ausgewählt wie die zu vergleichenden Munitionssorten und die Testwaffen. Outdoor Marketing hat alle technischen Gerätschaften zur Verfügung gestellt. In den meisten Fällen wurde auch eine praxisbewährte Fabriklaborierung mit Bleikerngeschoss mitgetestet, so dass jeder Workshop-Teilnehmer die Kavernen in der Seife und deren Unterschiede deuten konnte. Die Auswertung der beschossenen Seifenblöcke erfolgte nach forensisch erprobter Art und Reihenfolge durch die Workshop-Teilnehmer.
Entscheidende Parameter zur Bewertung der Leistungsfähigkeit von Jagdmunition
❶ Volumen der temporären Kaverne: Für den schnellen, zuverlässigen Eintritt der tödlichen Wirkung beim Wild ist eine größtmögliche Gewebezerstörung erforderlich. Je größer die temporäre Kaverne im Seifenblock ist, umso größer ist die zu erwartende Gewebezerstörung.
❷ Weg bis zum maximalen Durchmesser der temporären Kaverne: Je schneller der maximale Durchmesser der Kaverne erreicht wird, desto stärker ist die zu erwartende Augenblickswirkung.
❸ Maximaler Durchmesser der temporären Kaverne: Je größer der maximale Durchmesser der Kaverne ist, desto stärker ist die zu erwartende Gewebezerstörung.
❹ Maximale Penetration: Je größer die maximale Penetration, desto besser ist die zu erwartende Tiefenwirkung und desto höher ist die Wahrscheinlichkeit für einen Ausschuss.
❺ Länge der Kaverne: Wert bis zu welcher Eindringtiefe das Geschoss noch eine Gewebezerstörung über seinen tatsächlichen Durchmesser hinaus umsetzt.
Die Werte „Weg bis zur Geschossdeformation“, „Geschossdurchmesser aufgepilzt“ und „Restgewicht“ wurden mehr der Vollständigkeit halber erfasst, weil diese keinen oder nur im sehr begrenzten Maße Aufschluss über die Leistung der Munition geben. Auch die reine Geschossenergie und/oder Geschossgeschwindigkeit sagen alleine nichts über die Wirksamkeit der Laborierung aus. Hauptsächlich die oben genannten Daten geben Aufschluss darüber, ob die Leistung der Laborierung auch in die entscheidende Gewebezerstörung umgesetzt wird.


Entscheidende Unterschiede
Sieht man sich danach die Leistungsvergleich-Tabelle im Kaliber .30-06 an, in der auch bewährte Blei-Laborierungen enthalten sind, so stellt man fest, dass die Leistungsunterschiede bei Geschwindigkeit und Energie maximal 25 Prozent betragen. Der Unterschied der gleichen Laborierungen in der entscheidenden Leistungsumsetzung liegt in den wichtigen Werten um bis zu 61 Prozent! Damit erklären sich die zum Teil völlig gegenläufigen Erfahrungen, die Jäger mit bleifreier Büchsenmunition gemacht haben. Es erklärt auch, warum es schlichtweg unprofessionell ist, von der Wirkung bleifreier Munition generell zu sprechen, ohne dieses auf die exakte Laborierung zu beziehen.




Leistungsvergleich von Fabrikpatronen im Kaliber .30-06
Tabelle 1
Hornady
GMX Superform. |
Hornady
GMX Superform. |
Hornady
GMX Superform. |
Barnes
TTSX |
SAX
KJG |
RWS
HIT |
|
Geschoss (g) | 9,7 | 11,7 | 10,7 | 10,9 | 8,0 | 10,7 |
Geschoss (gr.) | 150 | 180 | 165 | 168 | 123 | 165 |
v2 (m/s) | 976 | 855 | 915 | 808 | 994 | 832 |
Energie (J) | 4.630 | 4.277 | 4.476 | 3.554 | 3.938 | 3.701 |
Waffe | Savage BTH | Savage 110 WB | Savage BTH | Sauer S 101 | Savage BTH | Savage 110 WB |
Lauflänge (cm) | 56 | 56 | 56 | 56 | 56 | 56 |
Penetration (cm) | 50+ | 50+ | 50+ | 50+ | 50 | 50+ |
Volumen/Kaverne (l) | 1,95 | 1,90 | 2,0 | 1,70 | 1,70 | 1,55 |
Weg bis Anfang
Geschossdeformation (cm) |
2,0 | 2,5 | 3,0 | 3,5 | 0,0 | 2,0 |
Weg bis maximale
Kaverne (cm) |
8,0 | 8,0 | 8,5 | 10,5 | 6,7 | 11,0 |
Durchmesser
Kaverne (cm) |
13,2 | 13,0 | 12,5 | 10,5 | 13,8 | 11,5 |
Länge Kaverne (cm) | 38 | 43 | 42 |
40 |
39 |
40 |
Geschossdurchmesser
aufgepilzt (mm) |
15,5 | 15,1 | 14,8 | 16,0 | 7,8 | 15,2 |
Restgewicht (%) | 99,5 | 98 | 99 | 99 | 75 | 99 |
Zielentfernung (m) | 125 | 95 | 100 | 100 |
125 |
100 |
Tabelle 2
RWS
Evolution Green |
RWS
Doppelkern (Blei) |
Blaser
CDC |
Norma
Kalahari |
Lutz Möller
KJG |
Nosler E-Tip/
Winchester |
Jaguar
Classic |
|
Geschoss (g) | 8,8 | 10,7 | 10,4 | 9,7 | 8,0 | 11,7 | 9,2 |
Geschoss (gr.) | 136 | 165 | 160 | 150 | 123 | 180 | 142 |
v2 (m/s) | 919 | 813 | 860 | 925 | 981 | 832 | 904 |
Energie (J) | 3.721 | 3.534 | 3.834 | 4.158 | 3.835 | 4.037 | 3.760 |
Waffe | Savage 111 BTH | Sauer S 101 | Savage 110 WB | Savage 111 BTH | Blaser R8 | Savage Axis | Savage 111 BTH |
Lauflänge (cm) | 56 | 56 | 56 | 56 | 54 | 56 | 56 |
Penetration (cm) | 52 | 39 | 44 | 50+ | 70+ | 49 | 50+ |
Volumen/Kaverne (l) | 1,50 | 1,50 | 1,45 | 1,30 | 1,30 | 1,20 | 1,15 |
Weg bis Anfang
Geschossdeformation (cm) |
1,5 | 1,0 | 1,5 | 2,0 | 0,5 | 2,5 | 1,5 |
Weg bis maximale
Kaverne (cm) |
10,0 | 9,0 | 10,0 | 10,0 | 6,3 | 9,0 | 9,0 |
Durchmesser
Kaverne (cm) |
11,5 | 11,0 | 12,0 | 9,0 | 9,9 | 10,0 | 10,0 |
Länge Kaverne (cm) | 42 | 31 | 35 | 40 | 40 | 31 |
44 |
Geschossdurchmesser
aufgepilzt (mm) |
7,7 | 13,0 | 17,9 | – | 8,4 | 14,4 | – |
Restgewicht (%) | 61 | 48 | 99 | – | – | 99,5 | – |
Zielentfernung (m) | 80 | 100 | 100 | 100 | 100 | 50 | 100 |
Tabelle 3
Brenneke
TAG |
RWS
ID Classic (Blei) |
Sellier & Bellot
Exergy |
Romey
KSD |
RWS
Uni Classic (Blei) |
Federal Trophy
Copper |
Sellier & Bellot
TM (Blei) |
|
Geschoss (g) | 10,0 | 9,7 | 11,7 | 10,0 | 11,7 | 10,7 | 11,7 |
Geschoss (gr.) | 155 | 150 | 180 | 155 | 180 | 165 | 180 |
v2 (m/s) | 900 | 858 | 808 | 833 | 805 | 870 | 807 |
Energie (J) | 4.068 | 3.578 | 3.808 | 3.485 | 3.779 | 4.046 | 3.798 |
Waffe | Savage 111 BTH | Savage 111 BTH | Savage 111 BTH | Savage 111 BTH | Blaser R8 | Savage 111 BTH | Sauer 202 |
Lauflänge (cm) | 56 | 56 | 56 | 56 | 54 | 56 | 56 |
Penetration (cm) | 35 | 47 | 46 | 49 | 45 | 37 | 54 |
Volumen/Kaverne (l) | 1,10 | 0,98 | 0,95 | 0,90 | 0,86 | 0,86 | 0,78 |
Weg bis Anfang
Geschossdeformation (cm) |
1,0 | 0,0 | 1,5 | 5,0 | 2,0 | 1,5 | 1,0 |
Weg bis maximale
Kaverne (cm) |
6,0 | 9,5 | 7,5 | 10,0 | 10,0 | 9,0 | 9,0 |
Durchmesser
Kaverne (cm) |
9,5 | 11,0 | 7,5 | 6,5 | 9,1 | 8,0 | 8,5 |
Länge Kaverne (cm) | 42 | 29 | 37 | 40 | 30 | 39 |
32 |
Geschossdurchmesser
aufgepilzt (mm) |
9,5 | 17,2 | 15,9 | – | 15,7 | 18,7 | – |
Restgewicht (%) | 84 | 66 | 99 | – | 56 | 99,5 | 89 |
Zielentfernung (m) | 80 | 150 | 150 | 100 | 100 | 100 | 100 |
Geschossversagen
Was bei den Seifentests der entscheidende Punkt ist, ist, dass die Ergebnisse Rückschlüsse auf das Verhalten im Wildkörper zulassen. Dabei geht es vor allem darum, die beiden häufigsten Anzeichen für Geschossversagen zu erkennen und zu vermeiden. Das erste ist das mangelnde Ansprechen (Aufpilzen) des Geschosses mit der damit verbundenen mangelnden Energieabgabe und Gewebezerstörung im Wildkörper, die zu einer zu schwachen oder stark verzögerten Wirkung führt. Typische Beispiele sind hier zu harte/zähe Geschosskonstruktionen oder -materialien, häufig in Verbindung mit langsamen Kalibern, deren Geschwindigkeit einfach nicht ausreicht, um das zähere bleifreie Geschossmaterial zu deformieren und dementsprechend zu Energieabgabe und Gewebezerstörung im Wildkörper umzusetzen.

Vergleichstest: neben der Ermittlung von entscheidenden Parametern zur Bewertung der Leistungsfähigkeit wird auch die Präzision überprüft.
Zersplittern des Geschosses
Das zweite ist das zu frühe Zersplittern des Geschosses. Hier führt ein zu schneller Masseverlust zu einer zu geringen Tiefenwirkung. Häufig beobachtet bei Teilzerlegern mit spröden Kernmaterialien wie Zinn, wo besonders nach Knochentreffern oder längeren Wegen im Wildkörper bis zu den vitalen Organen schon zu viel Material abgesplittert ist und entsprechend die Gewebezerstörung zu früh zu stark reduziert ist, um noch den gewünschten Effekt zu haben. Beides im übrigen Phänomene, die man auch bei einigen extremeren Geschosskonstruktionen mit Bleikern beobachten kann.
Das detaillierte Interview mit Jens Tigges zu bleifreier Munition lesen Sie hier.
Der Beitrag Bleifreie Munition im großen Ballistik-Test erschien zuerst auf Jäger.